Ist das philosophische Denken grundsätzlich referierbar? Nach einem berühmten Diktum Wittgensteins läßt sich alles, was sich überhaupt sagen läßt, klar sagen. Wird der Satz als Ordnungsruf mißbraucht, ist die Klarheit oft mit der Forderung nach Verständlichkeit kombiniert. Ein apodiktisches Beharren auf das Recht unangestrengten Nachvollzugs verkennt die Vielfalt philosophischer Darstellungs- und Mitteilungsformen und daß zwischen Philosophie und Literatur keine Grenze liegt, sondern eine Schwelle. Eine literarisch-philosophische Gattung, welche ihre Siedlungsgebiete an dieser Schwelle angelegt hat, ist der Aphorismus. - Verkleidet als Maxime und mißverstanden als Lehrsatz, ist der Aphorismus Haltestelle einer Denkbewegung, Knotenpunkt im Vorläufigen. In der Negativen Dialektik spricht Adorno an einer Stelle über Gestalten der Philosophie, die "wesentlich nicht referierbar" (S. 44) sind und verweist auf die Aphoristik als Denkgeflecht, als "Gewebe" von Denkbewegungen. Der Aphorismus ist angewiesen auf den wohlwollenden Mit- und Nachvollzug und darauf, daß es bei ihm nicht um die Zugehörigkeit zu einer literarischen Gattung geht, sondern um das Hören auf das, was sagbar, aber nicht referierbar ist. Warum hätte Wittgenstein sonst Aphorismen verfaßt? -