Macht Wissen glücklich?

#1 von Andrea , 17.05.2022 23:25

Ich weiß, dass ich nichts weiß. (Sokrates)

Strebt die menschliche Seele deshalb so stark nach Wissen, um mit dem Ungewissen besser umzugehen? Denn die Wahrheit nichts zu Wissen, ist schwer zu ertragen.

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RE: Macht Wissen glücklich?

#2 von Nauplios , 18.05.2022 19:53

Es gibt bei Aristoteles die Verbindung zwischen eudaimonia und theoria. Wissen macht glücklich. Und deshalb streben alle Menschen "von Natur" nach Wissen. - Das ist in der Neuzeit anders. Die Wahrheit soll gefunden werden; aber die Wahrheit muß dann auch ertragen werden. Dieser Gedanke war für die Antike noch unbedeutend, weil nach antiker Vorstellung der Mensch in einem Kosmos angesiedelt war, einer "Schmuckordnung". (Im Wort Kosmetik steckt noch diese Verbindung von Kosmos und Schönheit; kosmeo = ordnen, schmücken) - Im christlichen Mittelalter ist es ein wohlmeinender Gott, der den Menschen in seine Schöpfung "einsetzt". Gott garantiert die Wirklichkeit. Und hier beginnt es schon sehr früh, bei Augustinus, daß die Neugierde (curiositas) in den Katalog der Laster verbannt wird: der Mensch soll nicht in die Gott vorgehaltenen Geheimnisse dieser Schöpfung schauen; er soll sich nach innen wenden. - Das Mittelalter treibt die Allmacht Gottes schließlich auf die Spitze und dabei heraus kommt ein nominalistischer Gott der Willkür, der jederzeit seine Schöpfung auch wieder vernichten könnte. Gott wird eine unberechenbare potentia absoluta. Es entsteht das Problem der Kontingenz: alles kann so, aber auch ganz anders sein. - Die Neuzeit entsteht aus diesen Schwierigkeiten der spätmittelalterlichen Theologie. Hier ist es vor allem Nikolaus von Kues, der diese Dinge auf den Punkt bringt. Mit ihm beginnt (nach Blumenbergs Auffassung) die Neuzeit. Jetzt ist der Mensch darauf angewiesen, sich selbst zu behaupten. Die Entdeckungen von Kopernikus, Galilei und Keppler zeigen, daß entgegen den antiken und mittelalterlichen Vorstellungen die Erde und damit der Mensch nicht das Zentrum des Kosmos ist. Nicht die Sonne dreht sich um die Erde, sondern die Erde dreht sich um die Sonne. Das hat natürlich gravierende Folgen für das Selbstverständnis des Menschen. Der Mathematik Pascal schreibt, ihn schaudere es angesichts der unendlichen Weiten des Universums. Macht Wissen jetzt immer noch glücklich wie Aristoteles es sah? - Wissen kann auch desillusionieren. Wissen und Wahrheit müssen ertragen werden können. -

Hans Blumenberg hat diesen gesamten Prozess in Die Legitimität der Neuzeit und in Die Genesis der kopernikanischenWelt behandelt.


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RE: Macht Wissen glücklich?

#3 von Andrea , 19.05.2022 23:51

Das ist sehr interessant Nauplios!
Jetzt habe ich einen guten Überblick auf das Ganze bekommen.
Ich habe vor einiger Zeit einen tollen Artikel bei Spektum Wissen gelesen. Leider finde ich diesen nicht mehr. Damals ging es um die Evolution des Menschen.
Die wesentlichen Punkte im Bereich des Gehirns, bei denen sich der Mensch evolutionär vom Tier unterscheidet.
Dem Mensch war es möglich im Außen seine Informationen festzuhalten. So konnte man immer wieder auf vorhandenes zurückgreifen und auch daran weiterarbeiten.
Außerdem konnte bzw. kann der Mensch abstrakt denken.
So brauchte nicht etwas immer wieder neu erfunden werden.
Ein Affe müsste ein Rad immer wieder neu erfinden.

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RE: Macht Wissen glücklich?

#4 von Andrea , 21.05.2022 00:19

Hans Blumenberg schreibt in, Kapitel 1 /Theorie als exotisches Verhalten (Das Lachen der Thrakerin)

"Je mehr eine wissenschaftliche Disziplin dem
》Ideal 《 exakter Empirie sich annähert, um so ausschließlicher arbeitet sie an Präparaten und Meßdaten, die sie von der Zufälligkeit der Erscheinung ihrer Gegenstände unabhängig machen."

Wo führt uns die heutige Informationsflut an Wissen hin?
Verlieren wir immer mehr den sinnerfüllenden Wunsch nach der Erfahrbarkeit der Dinge?

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RE: Macht Wissen glücklich?

#5 von Nauplios , 21.05.2022 03:32

Zitat von Andrea im Beitrag #4


Wo führt uns die heutige Informationsflut an Wissen hin?
Verlieren wir immer mehr den sinnerfüllenden Wunsch nach der Erfahrbarkeit der Dinge?


Die für Blumenberg bedeutende Referenz ist wohl Husserls Spätschrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Darin geht Husserl der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, daß die Wissenschaften sich durch ihre Fokussierung auf das Berechenbare von der Lebenswelt des Menschen entfremdeten. Und da Du Das Lachen derThrakerin erwähnst, Andrea: Ist nicht auch der Sturz des Thales und das Lachen der thrakischen Magd eine Konstellation von Lebenswelt und theoretischem Interesse? - "Es ist das befreiende Lachen einer Frau, die in einem kurzen Moment die Gründungslüge der europäischen Philosophie durchschaut: dass die Liebe zur Weisheit mit der Distanzierung von der Lebenswelt erkauft werden müsse." (Manfred Geier; Kleine Philosophie des Humors)


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RE: Macht Wissen glücklich?

#6 von Andrea , 24.05.2022 00:07

Zitat von Nauplios im Beitrag #5

Und da Du Das Lachen derThrakerin erwähnst, Andrea: Ist nicht auch der Sturz des Thales und das Lachen der thrakischen Magd eine Konstellation von Lebenswelt und theoretischem Interesse? -


Ja, es ist sehr faszinierend!
.....die Urgeschichte der Theorie.
Eine kleine einfache Geschichte,
jedoch steckt in ihr so viel.
Geradezu wie bei einem Kaleidoskop.
Das zu Sehende verändert seine Form im Lauf der Zeit, und wird unterschiedlich betrachtet und interpretiert.
Jedoch ist das worauf wir blicken, gleichbleibend in seiner Substanz.

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RE: Macht Wissen glücklich?

#7 von Andrea , 24.05.2022 00:52

So schnell geht es und man fällt selbst in das Wasser hinein.
Nun aber mit Betonung:
"Eine" Urgeschichte der Theorie
😉

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RE: Macht Wissen glücklich?

#8 von Nauplios , 25.05.2022 19:36

"... eine kleine einfache Geschichte" (Andrea)

Ja, es sind Geschichten wie diese, sei es in Form der Anekdote oder in Form der Fabel u.ä., welche bei Blumenberg unter dem Titel der Unbegrifflichkeit laufen. Dazu gehört auch die Metapher als ein Mittel der Sprache in Bildern. Auch hier ließe sich ein reines Denken in definierten Begriffen (eine cartesianische Vorstellung) unterscheiden von einem Denken, das Elemente des Unbegrifflichen verwendet, das in Bildern, in Mythen, in Anekdoten .... also in Erzählformen, in Narrationen seinen Ausdruck findet.


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