Zitat von Andrea im Beitrag #2
Wie war das den so, damals bei Blumenberg?
Auf was legte er den besonderes Wert, bzw. was forderte er den von seinen Studenten?
Tja, wie war das bei Hans Blumenberg ...
Mein erster Gedankenimpuls dazu: so wie es heute nicht mehr möglich wäre. Blumenberg war von 1970 bis 1985 Ordinarius in Münster und trat dort die Nachfolge von Joachim Ritter an. Daß er den Ruf nach Münster annahm, hing u.a. mit den damaligen hochschulpolitischen Verhältnissen Ende der 60er Jahre zusammen. Das westfälische Münster bot ihm in seiner provinziellen Beschaulichkeit die Möglichkeit des Rückzugs an, zunächst eines partiellen, später eines nahezu vollständigen Rückzugs. - Der "unsichtbare Philosoph", wie er ja heute gerne genannt wird, war in den ersten Jahren seiner Hochschulkarriere allerdings keineswegs unsichtbar. Das berichten Weggefährten aus den 50er/60er Jahren. In diese Zeit fiel ja dann auch die Gründung von
Poetik und Hermeneutik (1963), die maßgeblich von Blumenberg und Jauß betrieben wurde. Der Rückzug erfolgte mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 68er Jahre.
Als ich in den 70er Jahren erstmals eine Lehrveranstaltung Blumenbergs besuchte, hielt er bereits nur noch Vorlesungen. Seminare kamen zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr infrage für ihn. - Zu diesen Vorlesungen betrat er das Münsteraner Schloß durch einen geheimen Seiteneingang, der sich in der Nähe des Hörsaals befand, legte Hut und Mantel ab und hielt die Vorlesung dann stehend am Katheder. Die Veranstaltungen begannen pünktlich und endeten pünktlich. Neunzig Minuten dozierte er - oft nur mit wenigen Karteikarten, manchmal mit einem Typoskript - thematische Abweichungen inbegriffen. Dabei beobachtete er das Auditorium durchaus, das nicht nur aus Studenten bestand; fast immer waren seine Assistenten anwesend und auch das, was man damals "Bildungsbürgertum" nannte, dazu Honoratioren der Stadt. Drohte der Vortrag das Publikum zu ermüden, konnte er es durch humorvolle Einlassungen und Anekdoten aufmuntern. Mit fester Stimme und leicht hanseatischem Akzent ging es dann weiter. Jürgen Goldstein, sein Biograph, der Blumenberg in den 80er Jahren gehört hat, berichtet, er habe nie so gelacht wie in Blumenbergs Vorlesungen. Diesen Eindruck kann ich bestätigen; die Vorlesungen waren oft von einem feinen, tiefgründigen Humor durchzogen. Man spürte sehr schnell, daß der Vortragende aus einem Überschuß an Wissen schöpfen konnte, das er mit schelmischer Gewitztheit seinen Hörern darbot.
Bei Blumenberg kam etwas hinzu, das inzwischen nahezu völlig aus der Mode gekommen ist: Gelehrsamkeit. Dort sprach nicht nur jemand, der viel gelesen hatte, sondern ein Gelehrter, für den es selbstverständlich war, Zitate in ihrer Originalsprache zu bringen und damit dem Auditorium Griechisch, Latein und Hebräisch zuzumuten. Er hat es dann meistens auch übersetzt, wissend, daß ein Student der Philosophie auch in den 70er Jahren bereits mit den alten Sprachen nicht mehr vertraut war. Für ihn war es vollkommen klar, daß die Lektüre Platons erst in der Originalsprache auch die Welt Platons eröffnete. Eine Übersetzung ist ein Schlüssel, mit dem man sich dem altgriechischen Text zwar annähern kann, der aber als Schlüssel für sich genommen noch nichts aufschließt.
Diesbezüglich nahm Blumenberg auf seine Hörer kaum Rücksicht. Seine Vorstellung, Philosophie zu
lehren war tatsächlich eine recht handwerkliche: der Meister macht es vor - der Lehrling macht es nach. Blumenberg machte es vor und was seine Studenten dann machten, betraf ihn nicht mehr und war ihm herzlich egal. Eine Art "Betreuung" gab es nicht. Niemand wagte es, eine Frage zu stellen. Er war in dieser Hinsicht unnahbar, nicht kalt und abweisend, aber darauf bedacht, mit Ende der Vorlesung zügig den Seitenausgang zu nehmen und zurück in seine Schreib- und Denkhöhle nach Altenberge (ca. 15 km von Münster entfernt) zu kommen. Nie habe ich erlebt, daß ihn jemand angesprochen hätte.