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  • Hermegis TrismegistiDatum08.06.2022 23:46
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Hermegis Trismegisti

    Der Anteil kosmischer Relationen und Konstellationen an der authentischen Erfassung von Zusammenhängen - das ist ein früher Grundgedanke des griechischen Philosophierens (mein erster Verdacht fällt auf Parmenides), daß die Erkenntnis auf das Entgegenkommen ihres Gegenstandes angewiesen ist ... usw.

  • Werther - soteriologischDatum08.06.2022 23:36
    Thema von Nauplios im Forum Zettel

    Man kann davon ausgehen, daß Goethes lakonische Mitteilung "Um zwölfe Mittags starb er" im Werther eine wohldurchdachte ist, nämlich als Paraphrase des "Um die neunte Stunde", auf die der Evangelist den Tod Jesu bestimmt. Markus setzt den Beginn des Leidens des Erlösers auf die dritte Stunde an (Markus; 15,25). "Oh daß ihr glücklich wäret durch meinen Tod!", läßt Werther Lotte und Albert wissen. Noch ein Tod, der Erlösung bringen soll? - "Lotte, für dich mich hinzugeben", hat das nicht das neutestamentliche Opferdiktion?

  • Ein GründungsmythosDatum06.06.2022 19:02
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Ein Gründungsmythos

    Dazu gibt es im Nachlaß Hans Blumenbergs einen "noch zu schreibenden Brief", in dem es heißt:

    "Ich war mit E.R. befreundet. Ich mochte ihn. Ich habe gefragt, was er zwischen 1933 und 1945 alles getan habe. Ich bin trotzdem bis zu seinem Tode mit ihm befreundet geblieben. Ich wollte nicht sein, was ich nicht zu sein brauchte: das Weltgericht."

  • RaucherlaubnisDatum06.06.2022 18:49
    Thema von Nauplios im Forum Metaphorologie

    In Begriffe in Geschichten findet sich ein kleiner Text Blumenbergs, der sich mit einem der letzten Regierungsakte der österreichischen Regierung vor dem "Anschluß" an Hitler-Deutschland beschäftigt, der Erteilung der Raucherlaubnis für Gefängnisinsassen. Alfred Polgar hatte darüber im Prager Tagblatt berichtet und Karl Kraus sich auf diesen Artikel in der Fackel bezogen. Blumenberg greift den Zusammenhang auf, um beiläufig auf Kants Diktum, es könne keine Freiheit in einem objektiven Sinne geben, hinzuweisen und ebenso beiläufig folgt Wesentliches:

    "Der Vorteil des Symbolischen vor dem Objektiv-Reellen ist allemal, daß es auf die Gewichtigkeit des symbolisierenden Gegenstandes gar nicht ankommt." (Hans Blumenberg; Begriffe in Geschichten; S. 142)

    Zu den Verkennungen eines jeden Realismus gehört nicht nur, was Musil den Möglichkeitssinn nannte, sondern auch die Realität des Symbolischen.

  • Thema von Nauplios im Forum Presseartikel

    Die Neue Zürcher Zeitung vom 04. Juni bringt ein Interview mit dem Philosophen und Politologen Uwe Steinhoff, der einen Aufruf initiiert hat, in dem ARD und ZDF kritisiert werden für ihre Behandlung des Gender-Themas.

    "Ausgangspunkt ist stets die Falschbehauptung, es gäbe nicht nur ein männliches und weibliches Geschlecht, sondern eine Vielfalt von Geschlechtern bzw. Zwischenstufen zwischen Mann und Frau. Der klar umrissene Begriff des Geschlechts, das die anisogame Fortpflanzung ermöglicht, wird vermengt mit psychologischen und vor allem soziologischen Behauptungen, mit dem Ergebnis, dass konzeptionelle Unklarheit entsteht."

    Weiter heißt es in dem Aufruf:

    "In TV-Sendungen, Rundfunkbeiträgen und auf den Social-Media-Kanälen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird dieser Trans-Hype geschürt und es wird der 'Weg in den richtigen Körper' als kinderleichter Schritt geschildert. Es geht um Mädchen, die sich chirurgisch Brüste und Gebärmutter entfernen lassen und um den Einsatz von Pubertätsblockern, die vorübergehend verhindern, dass sich die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale entwickeln. Die möglichen, teils irreversiblen körperlichen und psychischen Folgen solcher Maßnahmen werden nicht geschildert."

    Der gesamte Text läßt sich hier einsehen:

    https://www.evaengelken.de/aufruf-schlus...chen-rundfunks/

  • Die Klugheit der MetapherDatum05.06.2022 19:14
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Die Klugheit der Metapher

    Zitat von Andrea im Beitrag #3
    Mein Blick fiel in das Wolkenmeer und in den freien unendlichen Himmel.


    Dem Wolkenmeer zur Seite möchte ich das Nebelmeer stellen. Das Nebelmeer - vertikal als Nebelwand - versperrt ja den Blick eigentlich, es sei denn, der Blick geschieht von höherer Position auf das Nebelmeer herab wie etwa beim berühmten Wanderer über dem Nebelmeer:

  • TanzverdiktDatum05.06.2022 18:19
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Tanzverdikt

    Setzte Husserl mit der Strenge an, daß ein Phänomenologe nicht tanzt, zieht Blumenberg bereits die Dialogbereitschaft des Phänomenologen in Zweifel, denn der "Phänomenologe, dessen tägliche Arbeit in der Protokollierung seines Selbstverständnisses von Bewußtsein besteht, ist ein eminent undialogischer Philosoph, weil er nicht argumentiert oder jedenfalls nicht zu argumentieren beabsichtigt." (Hans Blumenberg; Phänomenologische Schriften; S. 171)

  • TanzverdiktDatum05.06.2022 18:04
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Tanzverdikt

    Das Leben hat diese Anekdote in eine jener Geschichten eingebettet, die wohl nur das Leben schreibt. Günther Anders lernte seine spätere Ehefrau Hannah Arendt auf einer Tanzveranstaltung kennen:

    "Gewonnen habe ich Hannah auf dem Ball mit der beim Tanzen gemachten Bemerkung, daß Lieben derjenige Akt sei, durch den man etwas Aposteriorisches: den zufällig getroffenen Anderen, in ein Apriori des eigenen Lebens verwandle. - Bestätigt hat sich diese schöne Formel freilich nicht."

    Die Ehe mit Hannah Arendt währte nur acht Jahre. Bestätigt hat sich, daß Anders immerhin doch als Phänomenologe tanzte.

  • TanzverdiktDatum05.06.2022 17:36
    Thema von Nauplios im Forum Metaphorologie

    Da an anderer Stelle schon die Philosophie als Lebensform angesprochen wurde: In den 20er Jahren war die Phänomenologie als philosophische Schule bereits fest etabliert, nicht zuletzt als Ergebnis der denkerischen Strenge ihres Schulgründers Edmund Husserls. Diese keineswegs auf's Denkerische beschränkte Strenge seines Doktorvaters bekam auch Günther Anders zu spüren, der darüber in seinen Ketzereien berichtet:

    "In der Tat hat er mich, seinen Doktoranden, als ihm zu Ohren gekommen war, daß ich eine Faschingsnacht kostümiert durchgetanzt hatte, zu sich bestellt, um mir fürs Leben mitzugeben: 'Ein Phänomenologe tanzt nicht und zu allerletzt kostümiert!' Als ich ihm antwortete, ich hätte nicht als Phänomenologe getanzt und mich nicht als solcher kostümiert, fragte er - und das meinte er - zurück: 'Sondern als was?'" (Günther Anders; Ketzereien; S. 242)

  • IndiskretionDatum05.06.2022 16:17
    Thema von Nauplios im Forum Zettel

    Weil die Philosophie Denk- und Lebensform ist, weil man mit der Philosophie leben kann und gelegentlich vorgegeben wird, ohne sie nicht leben zu können, greift das Interesse an der Philosophie nicht selten über die Denkform über in die des Lebens. Wie lebt ein Philosoph? - Dieses Übergreifen kann sich zur Übergriffigkeit entwickeln, wenn die Frage sich darauf ausweitet, wie ein Philosoph stirbt. Es ist bekannt, daß Hans Blumenberg zu den Liebhabern letzter Worte gehörte. Im Fall Heideggers hat er in Die Sorge geht über den Fluß eine Fiktion entworfen, die Heideggers mögliche letzte Worte als Kondensat seiner Philosophie vorstellen (S. 222). Der 85-jährige Walter Bröcker, Schüler Heideggers, schreibt daraufhin einen Brief an wiederum seinen Schüler Blumenberg, der dem Fiktum das Faktum zur Seite stellt. Bröckers authentische Quelle war dabei Elfriede Heidegger. Der Brief Bröckers sei "ohne Groll", berichtet Blumenberg in Die Verführbarkeit des Philosophen (S. 107) und ist "zuversichtlich, daß (s)eine Fiktion - weil Fiktionen doch immer stärker sind als Fakten - überleben wird." (S. 108) -

    Über die Umstände des Todes von Hans Blumenberg haben seine Biographen penibel berichtet und auf den Wunsch nach Unsichtbarkeit keine Rücksicht genommen.

  • Wozu Philosophie?Datum05.06.2022 15:35
    Thema von Nauplios im Forum Zettel

    Zum Hinterhalt von Urteilen gehört ihre Fähigkeit, sich die Tarnung als Frage zu geben. "Wozu Philosophie?" gehört zur Kategorie solcher Urteile. Der Fragende hat darin sein Urteil in ein vorgetäuschtes Interesse kaschiert. "Wozu-Fragen werden nicht mit der Absicht gestellt, scharf- oder tiefsinnige Antworten zu erhalten, als vielmehr dazu, den Adressaten der Frage in Verlegenheit zu versetzen." (Hans Blumenberg; Zu den Sachen und zurück; S. 13)

  • Poetik und Hermeneutik im RückblichDatum04.06.2022 18:23

    Zitat von Andrea im Beitrag #3
    Sehr interessant, vor allem die Frage nach dem "Verstehen" wie es möglich war, die Vergangenheit schweigend hinter sich zu lassen.


    Nicht immer konnte man die Vergangenheit schweigend hinter sich lassen. Ganz in meiner Nähe liegt Recklinghausen im Nordwesten von NRW. Dort gab es nach 1945 ein Internierungslager der Briten, in dem es vier sogenannte Civil Internment Camps für deutsche Kriegsverbrecher gab. In CIC 4 war der SS-Hauptsturmführer Hans Robert Jauß von 1946 bis 1948 interniert. Dem Direktor der Universität Konstanz, Gerhard Hess, berichtet Jauß aus Anlaß seiner Ernennung zum ordentlichen Professor im Fachbereich Literaturwissenschaft am 01. April 1966:

    "In der Zeit vom 23. Oktober 1939 bis April 1945 habe ich meinen Kriegsdienst in der Waffen-SS abgeleistet. Nach meiner Musterung durch die Hitlerjugend trat ich als 17-Jähriger dieser Formation bei, in Unkenntnis der Ziele der Gesamtorganisation, um mir den Arbeitsdienst zu ersparen und rascher zum Studium zu gelangen. [...] Nach zweijähriger Gefangenschaft im 4. CIC Recklinghausen wurde ich durch ein ordentliches Spruchkammerverfahren der Spruchkammern Recklinghausen und Göppingen am 02. Januar 1948 mit der Feststellung entlassen, daß individuelle Belastungen gegen mich nicht vorlägen." (DLA Marbach) -

  • Ein GründungsmythosDatum04.06.2022 17:38
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Ein Gründungsmythos

    Zitat von Andrea im Beitrag #7
    Du beschreibst, in der heutigen Zeit möchte man sich nicht mehr so stark einlassen auf diese alten Zeiten.
    Aber entspringt und baut sich nicht alles auf, aus diesen Schatz der Vergangenheit?
    Ich frage mich eher, was ist denn "selbst denken"?
    Ist es nicht einfach ein Hinterfragen des Gegebenen welches jedem Individuum in seiner Lebenswelt begegnet?

    :-) auf diese Fragen erwarten keine Antwort. Ich habe sie einfach nur so allgemein in den Raum gestellt.





    Aus einem hermeneutischen Verständnis heraus ist das Philosophieren grundsätzlich in den geschichtlichen Horizont des Denkens gestellt. Es gibt kein Reset, kein voraussetzungsloses Anfangen. Verstehen ereignet sich im Horizont geschichtlicher Erfahrungen. - Es gibt einen Brief Hans Blumenbergs an seinen Schulfreund Ulrich Thoemmes vom 01. April 1987, der eine vielleicht überraschende Passage des ehemaligen KZ-Insassen Blumenberg enthält:

    "Es war eine der Erfahrungen, die mich bis heute gegenüber allem leichtfertigen Urteilen bestimmt hat: Fast alle, die mir wirklich geholfen haben, waren Nazis." (DLA Marbach). So blieb Blumenberg mit Erich Rothacker, dem Abteilungsleiter in Goebbels Propagandaministerium, der die "Bücherverbrennung" auf seiten des Ministeriums verantwortete, bis an dessen Lebensende befreundet. Den Nachruf zum Tode Rothackers verfaßte der "Halbjude" Blumenberg. -

  • Ein GründungsmythosDatum01.06.2022 15:34
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Ein Gründungsmythos

    Sicher - man kann all das als antiquiert bezeichnen, altmodisch, aus der Zeit gefallen ... Das sagt viel über das Verständnis derer, die solche Urteile aus dem Gestus der Überlegenheit fällen. Man fühlt sich auf der linearen Fortschrittsskala des philosophischen Denkens an privilegierter Stelle, weil man Bewohner des 21. Jahrhunderts ist und damit vergangenen Zeiten voraus. Mit Platon und Kant sich zu beschäftigen erscheint als nur noch "historisch" von Belang und eine Angelegenheit von Krämerseelen und Archivaren zu sein - unnötiger Ballast, der vor allem von einem abhält: selber zu denken. - Wer zitiert hat selbst nichts zu sagen. Das Alte ist überholt. Das Neue ist man selbst.

    Diese Einstellung ist vor allem in Foren weit verbreitet - dieses Forum natürlich ausgenommen. Was hätte Hans Blumenberg wohl dazu gesagt? - Vermutlich hätte er dazu eine Glosse verfaßt.

    Eine Glorifizierung der guten alten Zeiten wäre natürlich falsch und auch ungerecht den später Geborenen gegenüber. Ein junger Mensch kann nichts dafür, daß er zwanzig oder dreißig ist und deshalb einen Blumenberg nie hören konnte. Lesen kann er ihn. Dann allerdings ist die Erwartung an ihn berechtigt, daß er erkennt, was er vor sich hat. Er wird nicht ohne weiteres verstehen, was er vor sich hat. Ein Vorwurf ist ihm daraus nicht zu machen, die Ermunterung, sich im obigen handwerklichen Sinne etwas zeigen zu lassen, darf er sich allerdings zu Herzen nehmen. Und das gilt selbstverständlich nicht nur für den Philosophen Blumenberg.

    Stattdessen schiebt man die eigenen Defizite gerne als Mangel an "Verständlichkeit" in die Schuhe des Autors, der sich zu wenig um einen "guten Stil" bemüht hat und dessen Manieriertheit zu akzeptieren man schlechterdings nicht bereit ist. - Das ist Konsumentenhaltung, die die Philosophenzunft zu einem Dienstleistungsunternehmen degradiert, welches sich gefälligst der intellektuellen Trägheit seiner Kundschaft anzubequemen hat.

    Wohlgemerkt: ich spreche jetzt über Erfahrungen in philosophischen Foren aus den letzten zwanzig Jahren, nicht aus den Gesprächen mit Dir, Andrea. - Und selbstverständlich gibt es auch im Netz Menschen, die seriös mit philosophischen Themen umgehen. Lautstark hingegen sind jene, die meinen, Philosophie sei eine Sache von Weltanschauungen, die man über Megaphone vermittelt.

  • Ein GründungsmythosDatum01.06.2022 14:21
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Ein Gründungsmythos

    Zitat von Andrea im Beitrag #2
    Wie war das den so, damals bei Blumenberg?
    Auf was legte er den besonderes Wert, bzw. was forderte er den von seinen Studenten?


    Tja, wie war das bei Hans Blumenberg ...

    Mein erster Gedankenimpuls dazu: so wie es heute nicht mehr möglich wäre. Blumenberg war von 1970 bis 1985 Ordinarius in Münster und trat dort die Nachfolge von Joachim Ritter an. Daß er den Ruf nach Münster annahm, hing u.a. mit den damaligen hochschulpolitischen Verhältnissen Ende der 60er Jahre zusammen. Das westfälische Münster bot ihm in seiner provinziellen Beschaulichkeit die Möglichkeit des Rückzugs an, zunächst eines partiellen, später eines nahezu vollständigen Rückzugs. - Der "unsichtbare Philosoph", wie er ja heute gerne genannt wird, war in den ersten Jahren seiner Hochschulkarriere allerdings keineswegs unsichtbar. Das berichten Weggefährten aus den 50er/60er Jahren. In diese Zeit fiel ja dann auch die Gründung von Poetik und Hermeneutik (1963), die maßgeblich von Blumenberg und Jauß betrieben wurde. Der Rückzug erfolgte mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der 68er Jahre.

    Als ich in den 70er Jahren erstmals eine Lehrveranstaltung Blumenbergs besuchte, hielt er bereits nur noch Vorlesungen. Seminare kamen zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr infrage für ihn. - Zu diesen Vorlesungen betrat er das Münsteraner Schloß durch einen geheimen Seiteneingang, der sich in der Nähe des Hörsaals befand, legte Hut und Mantel ab und hielt die Vorlesung dann stehend am Katheder. Die Veranstaltungen begannen pünktlich und endeten pünktlich. Neunzig Minuten dozierte er - oft nur mit wenigen Karteikarten, manchmal mit einem Typoskript - thematische Abweichungen inbegriffen. Dabei beobachtete er das Auditorium durchaus, das nicht nur aus Studenten bestand; fast immer waren seine Assistenten anwesend und auch das, was man damals "Bildungsbürgertum" nannte, dazu Honoratioren der Stadt. Drohte der Vortrag das Publikum zu ermüden, konnte er es durch humorvolle Einlassungen und Anekdoten aufmuntern. Mit fester Stimme und leicht hanseatischem Akzent ging es dann weiter. Jürgen Goldstein, sein Biograph, der Blumenberg in den 80er Jahren gehört hat, berichtet, er habe nie so gelacht wie in Blumenbergs Vorlesungen. Diesen Eindruck kann ich bestätigen; die Vorlesungen waren oft von einem feinen, tiefgründigen Humor durchzogen. Man spürte sehr schnell, daß der Vortragende aus einem Überschuß an Wissen schöpfen konnte, das er mit schelmischer Gewitztheit seinen Hörern darbot.

    Bei Blumenberg kam etwas hinzu, das inzwischen nahezu völlig aus der Mode gekommen ist: Gelehrsamkeit. Dort sprach nicht nur jemand, der viel gelesen hatte, sondern ein Gelehrter, für den es selbstverständlich war, Zitate in ihrer Originalsprache zu bringen und damit dem Auditorium Griechisch, Latein und Hebräisch zuzumuten. Er hat es dann meistens auch übersetzt, wissend, daß ein Student der Philosophie auch in den 70er Jahren bereits mit den alten Sprachen nicht mehr vertraut war. Für ihn war es vollkommen klar, daß die Lektüre Platons erst in der Originalsprache auch die Welt Platons eröffnete. Eine Übersetzung ist ein Schlüssel, mit dem man sich dem altgriechischen Text zwar annähern kann, der aber als Schlüssel für sich genommen noch nichts aufschließt.

    Diesbezüglich nahm Blumenberg auf seine Hörer kaum Rücksicht. Seine Vorstellung, Philosophie zu lehren war tatsächlich eine recht handwerkliche: der Meister macht es vor - der Lehrling macht es nach. Blumenberg machte es vor und was seine Studenten dann machten, betraf ihn nicht mehr und war ihm herzlich egal. Eine Art "Betreuung" gab es nicht. Niemand wagte es, eine Frage zu stellen. Er war in dieser Hinsicht unnahbar, nicht kalt und abweisend, aber darauf bedacht, mit Ende der Vorlesung zügig den Seitenausgang zu nehmen und zurück in seine Schreib- und Denkhöhle nach Altenberge (ca. 15 km von Münster entfernt) zu kommen. Nie habe ich erlebt, daß ihn jemand angesprochen hätte.

  • Ein GründungsmythosDatum31.05.2022 04:54
    Foren-Beitrag von Nauplios im Thema Ein Gründungsmythos

    Ich komme in Kürze auf diesen Punkt, Andrea ... brauche noch ein wenig Zeit.

  • Ein GründungsmythosDatum27.05.2022 18:59
    Thema von Nauplios im Forum Metaphorologie

    Mit "weißt du noch ..." beginnen Versicherungen auf Gegenseitigkeit sofern sie ein Ereignis, ein Erlebnis, ein Darum betreffen, das im Nebel rückwärtiger Besinnung unscharfe Konturen zu bekommen droht. Erzählt wird dann eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt nicht im Vorgang selbst beschlossen ist, sondern in der Bedingung der Möglichkeiten dieses Vorgangs. Ob es so war, verliert an Bedeutung; daß es so gewesen sein könnte, gewinnt an Bedeutsamkeit. Zum Gründungsmythos von Poetik und Hermeneutik hat Hans Robert Jauß dies beigetragen:

    "Für mich beginnt die Geschichte mit dem Augenblick, als ich bei einem Fakultätsausflug die beiden Mitinitiatoren, Hans Blumenberg und Clemens Heselhaus, auf die Plattform eines oberhessischen Kirchtums stellte und ihnen erklärte, sie würden diesen Ort nicht eher verlassen, als bis das Thema für ein erstes Kolloquium gefunden, das Unternehmen getauft und der Antrag an die Mäzene beschlossen sei." (Hans Robert Jauß; "Vorarbeiten zu den wissenschaftlichen Memorabilien")

    Aus dem "Kirchturm" wurde in der endgültigen Fassung der Memorabilien ein "Turm", was dem Einfluß möglicher Transzendenzerfahrung keinen Abbruch tut; allemal war man dem Himmel näher als auf Erden.

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